Großartige Komponisten flohen in den 40er Jahren auch in die Traumfabrik von Hollywood. Ein Thema, das den Musiker Daniel Hope seit seiner Kindheit beschäftigt und das er nun mit seinem neuen Album „Escape to Paradise“ dramaturgisch und musikalisch behandelt. Doch fanden die Herren im Exil von Los Angeles wirklich das Paradies?
Herr Hope, Ihre neue CD The Hollywood Album beschäftigt sich mit Komponisten, die vor Hitler ins Exil geflohen sind. Sie ist aber überschrieben mit Escape to Paradise …
Eigentlich ist das eher als Frage gemeint. Für einige von ihnen war es das Paradies, Arnold Schönberg zum Beispiel hatte einmal genau diese Worte verwendet. Andere fanden dort die Hölle. Für alle war es am Ende ja ein Ort der Zuflucht.
Gab es einen aktuellen Anlass, sich mit diesem Thema zu beschäftigen und daraus ein Album zu machen?
Eher im Gegenteil: ich habe mich 15 Jahre mit Musik aus Theresienstadt beschäftigt. Es war langsam Zeit für die Kehrseite. Ich wollte auch die Frage stellen, was aus den Musikern und Künstlern geworden ist, die überlebt haben – schließlich komme ich selbst aus einer Emigrantenfamilie. Meine Großeltern flohen vor dem NS-Regime nach Südafrika, meine Eltern wiederum vor dessen Apartheidsystem nach Großbritannien. Zudem hat mich die Stadt Los Angeles aus dieser Zeit immer schon fasziniert. Ich war auf Spurensuche, habe zum Beispiel die Villa Aurora besucht. Allein die Vorstellung: Lion Feuchtwanger, Hanns Eisler, Thomas Mann und wie sie alle hießen beim Schnitzelessen in Pacific Palisades – das ist reizend und bizarr gleichermaßen. Genau das aber ist Hollywood. Aber zurück zum Album: Die eigentliche Fragestellung war für mich der Hollywood-Sound. Woher kommt er, was ist das, gibt es ihn überhaupt? Oder ist es nicht eher ein europäischer Klang?
Und? Sie haben sicher Antworten gefunden?
Ich glaube schon. Es kam damals eine ganze Menge zusammen: Hollywood war neu, der Tonfilm war neu, Soundtracks waren neu. Also musste man auch eine neue Art des musikalischen Ausdrucks finden, diese großen Spektakel zu untermalen. Viele der Komponisten kamen aus einem spätromantischen, europäischen Erbe: Pate war neben Max Steiner vor allem Erich Wolfgang Korngold, weil er wie kaum ein anderer in der Mahler-Strauss-Zemlinski-Ära verwurzelt war. Hier konnte er sein gesamtes Talent entfalten. Und ohne Korngold hätten wir vermutlich keinen John Williams – so sehr ich Williams schätze. Insofern bin ich überzeugt, dass der Hollywood-Sound eine absolut europäische Tradition hat. Natürlich durch Zufälle und Notsituationen entstanden. Aber auch durch geniale Kombinationen: Zum Beispiel Max Reinhardt als Regisseur für den Sommernachtstraum. Die Schauspieler, die Lichtregie – das waren revolutionäre Ideen. Und dazu Mendelssohns Musik, adaptiert von Korngold. Mendelssohn und Korngold im Doppelpack – diese trotzige Haltung finde ich fantastisch. Die Nazis waren entsetzt.
Keine kleine Herausforderung, einen so großen Bogen zu spannen. Was war der Plan bei der Zusammenstellung des Albums?
Die Idee hatte ich schon über zehn Jahre im Kopf. Weil es ein sehr ambitioniertes Projekt ist, hat es entsprechend lange gedauert. Der eigentliche Ursprung liegt aber noch viel weiter zurück – als ich ein Junge war und Korngolds Violinkonzert zum ersten Mal von Jascha Heifetz auf Platte hörte. Ich war sprachlos: ich habe mir nicht zugetraut, es selbst zu spielen, so unglaublich schön war die Interpretation: virtuos, emotional und dennoch kontrolliert. Irgendwann – viel älter und ein bisschen mutiger geworden – habe ich es dann doch aufgenommen. Ich kann aber nie sofort sagen, welche anderen Stücke ich dazunehme. Ich musste es ruhen lassen, überlegen, recherchieren … Zunächst war das Album geplant als reines Exil-Projekt, also nur die Exil-Komponisten. Dann kam Sting dazu – das hat sich einfach so ergeben. Und dann merkte ich, das Thema war nicht nur Exil, sondern Flucht, Escape. Damit änderte sich alles: Plötzlich wusste ich, dass ich einen frühen Korngold spielen muss. Dass ich aber auch American Beauty haben will, weil Thomas Newman der Sohn von Alfred Newman ist, vom Gründer der Hollwood-Clans. Eins kam zum anderen. Es war wie eine Art Schicksalspuzzle, das sich im Laufe dieser zehn Jahre so fügte. Und dennoch waren Auswahl und Anordnung der Stücke eine extreme Herausforderung, auch mit welchem Künstler ich sie machen will. Da steckt sehr viel gedankliche Arbeit dahinter.
Sting singt seinen eigenen Text, The Secret Marriage auf Eislers Vertonung des Brecht-Gedichts An den kleinen Radioapparat. Wäre der Originaltext nicht konsequenter gewesen?
Nicht unbedingt. Sting ist Profi genug, nur in einer Sprache zu singen, die er beherrscht. Natürlich kennt und schätzt er den Text von Brecht. Er hat aber versucht, seinen eigenen Zugang zur Musik zu finden. Und auch bei ihm geht es ja um eine geheime Union, also eine Art Parallelwelt zum „kleinen Radioapparat“
Und Max Raabe singt Speak Low von Kurt Weill …
Ja, es ist wahnsinnig schön, Raabe auf Englisch zu hören. Ich wollte, dass er die Exilstimme verkörpert. Genau das also, was man gehört hat. Mit einem tollen Chanson- oder Jazzsänger aus Amerika hätte es das Thema der Entwurzelung so nicht gegeben.
Die kleine Schieflage war also dramaturgisch gewollt?
Von diesen „Schieflagen“ gibt es ja mehr auf der CD! As time goes by ist auch eine Art PS von mir. Ich wollte zeigen, dass das nicht einfach alles nur schön ist, sondern dass dahinter etwas ganz anderes steckt. Menuchims Lied von Eric Zeisl ist unglaublich dramatisch, hat wenig mit Schönklang zu tun. Meine dramaturgische Überlegung war es, das auszuleuchten, um dem Hörer noch einmal bewusst zu machen, wo wir uns befinden. Nun ist die Geschichte hinter der Musik ja nicht auf den ersten Blick sichtbar.
Ist es für einen klassischen Geiger nicht ein bisschen gefährlich, so ein Hollywood-Pathos-Paket zu veröffentlichen?
Man kann es nicht jedem recht machen. Aber ein Blick auf die Tracklist genügt: Das ist ja nicht die Filmmusik zu Pirates of the Carribean, es sind keine neuzeitlichen Scores.
Mit ein paar Ausnahmen …
Ja, ich habe ganz bewusst drei lebende Komponisten mitausgewählt. Weil sie den Hollywood-Sound für mich erweitert haben. Und weil das Sujet der jeweiligen Filme nur mit Flucht zusammenhängt: Schindlers Liste, American Beauty und Cinema Paradiso. Und ich fand es sehr spannend, Ennio Morricone mit dazuzunehmen. Er ist Europäer und hat sich nur 20, 30 Jahre später als diese Komponisten in Hollywood nach oben gearbeitet. Aber wie unterschiedlich sind diese Tracks! Korngold, Zeisl, Eisler, Rózsa – der Bogen geht vom großen pathetischen Wohlklang des Ben Hur zu An den kleinen Radioapparat von Eisler. Es mag Leute geben, die das Album als Filmmusik-Platte abtun. Es ist aber viel mehr …
Zumal es ja viele Titel gibt, die gar nicht vom Film kommen.
Das zum einen. Zum anderen sollte sich jeder, der bei Filmmusik jener Zeit die Nase rümpft, bewusst machen, was da für Fähigkeiten dahinterstecken – auf Abruf jeden Stil schreiben zu können! Da saßen Leute in den Studios, die mit Ravel studiert hatten und plötzlich um 15 Uhr einen Foxtrott und um 16 Uhr einen Cancan komponieren mussten. Aber was für eine musikalische Sprache? Großartige Musik, komplex, sinfonisch …
Ihr Interesse gilt aber offenbar vor allem den Biografien hinter der Musik?
Immer! Darum mache ich dieses Programm live manchmal mit Fotos oder Film-Clips. Es ist eine wunderbare Möglichkeit, eine Geschichte weiterzuerzählen. Und diese Geschichte hat alles: Sie hat tolle Musik, sie hat eine tragische Seite, sie hat eine glückliche Seite. Sie kennt Komponisten, die sehr erfolgreich waren wie Korngold, wie Rózsa, aber auch jene, für die es absolut elend war. Doch sie alle hatten ein bewegtes Leben. Und man darf die Kehrseite nicht vergessen: Selbst die Komponisten, die in Hollywood Karriere gemacht hatten, wurden in Europa komplett ignoriert.
Weil sie sich verkauft hatten …
Es war sehr spannend, mit dem Sohn von Arnold Schönberg und seiner Frau, der Tochter von Zeisl, zu sprechen. Auch Zeisl war nur nach Hollywood gekommen, um sich und seine Familie zu retten. Korngold hat diese Arbeit sehr als Mittel benutzt, um Geld zu verdienen. Er wollte nichts anderes, als seiner Familie zu helfen und die Leute aus Europa herauszuholen. An dem Tag, als der Krieg vorbei war, war für ihn Schluss mit Filmmusik, und er schrieb das Violinkonzert. Das wird oft vergessen in seiner Biografie: Er wollte zurück, er wollte in Wien sein.
2009 erschien Ihr Buch Familienstücke, in dem Sie die Exil-Geschichte Ihrer Familie aufarbeiten. Floss auch diese Recherche in das Hollywood-Projekt mit ein?
Familienstücke war sozusagen der Anfang meiner Selbstanalyse. Vieles, was ich seither getan habe, geht darauf zurück. Dieses Buch hat so viel bewirkt – all die Dinge, die ich herausgefunden habe. Das hat mich sehr verändert, inspiriert, schockiert. Und ich werde bis heute konfrontiert mit der Arbeit daran. Man recherchiert, findet Sachen und Akten – das ist die eine Seite. Aber dann kommt jemand, den man nicht kennt, der betroffen ist oder war. Oder der noch Bilder hat aus der Zeit. Mich erreichen Briefe von Menschen, die in Berlin unsere Nachbarn waren. Eines Abends nach einem Konzert kam tatsächlich der Sohn des Anwalts meiner Urgroßmutter zu mir. Was ich sagen will: Wenn man beschließt, so etwas zu machen, ist es, als würde man den Wasserhahn anmachen – es fließt einfach. Und das ist extrem spannend. Projekte wie diese fangen immer mit einer Idee an, und die wächst dann – nicht geradeaus, sondern in die Breite.
Und die Message?
Muss es ein Message geben? Wenn ja, dann die, dass diese Komponisten Großartiges geleistet haben und auch heute noch unterschätzt sind. Und ganz sicher die: Dass wir alle einen Ort haben, wohin wir fliehen können. Zuflucht bedeutet für jeden etwas anderes.
Daniel Hope Live
20.09.14: Nürnberg, Meistersingerhalle21.09.14: Frankfurt, Alte Oper
22.09.14: Frankfurt, Alte Oper
09.11.14: Berlin, Konzerthaus
(“Recomposed: Four Seasons” mit Max Richter)
20.11.14: Hannover, NDR Sendesaal
23.11.14: Düsseldorf, Tonhalle
24.11.14: Braunschweig, Stadthalle
25.11.14: Osnabrück, OsnabrückHalle
28.11.14: Berlin, Konzerthaus